Ein Liebesmärchen mit Namen.....
Maskenball
Ein Drache kam als Pfau.
Zwei Hexen hatten sich als Schmetterlinge verkleidet.
Ein Kobold trug ein Leopardenfell und fauchte.
Auch ein Riese, der nicht sehr einfallsreich gewesen war, stapfte umher. Er hatte sich überall Seile hingebunden, als Erinnerung an eine blöde Geschichte.
Eine Maske fiel besonders auf: Sie stellte einen Menschen dar.
Der Riese meinte, es könne sich dabei nur um einen Druiden oder Zauberer handeln. Die Ähnlichkeit war ihm ZU verblüffend.
Das Märchen schwieg, als es das hörte. Auch, als das Tuscheln der anderen zunahm, die nachtfaltig um den Mensch herumschwirrten.
Es war ziemlich gewagt, sich gerade als Mensch zu verkleiden. Immerhin arbeiteten alle, die sich zu diesem Maskenfest getroffen hatten, für das Volk der Menschen. Und eine solche Maskierung konnte man fast, ja fast als Demonstration auslegen. Als stillen Protest. Man hätte sich nicht gewundert, wäre unter den progressiven Zwergen das Wort "Revolution" gefallen.
Das Märchen schwieg.
Sicher, es hätte eingreifen können. Aber es ließ die Figuren, deren Wünsche heute abend Ausgang bekommen hatten, ihre Masken weitertragen.
Das Fest tanzte seinem Höhepunkt entgegen. Bis auf den Menschen. - Der schritt wie ein Kondensstreifen über den bunten Himmel der Phantasiefiguren.
In lebloses Schwarz gekleidet, undurchschaubares Glas verdeckte seine Augen. Und... er trug einen Koffer in der Hand. Schon die ganze Zeit, ohne ihn auch nur einmal abgestellt zu haben.
Jetzt schritt er auf ein Mandelbäumchen zu, das sich wild zur Windmusik bewegte. Der Frühling versuchte verzweifelt, seine Blüten auf den zarten Astarmen zu bewahren. Doch seine Bemühungen verloren sich im ekstatischen Tanz.
Wie kleine Herbste lagen die rosa Küsse am Boden. Der Mensch blieb vor dem tanzenden Baume stehen, öffnete seinen Koffer. Er begann, jede einzelne Blüte aufzuheben und sie vorsichtig in das schwarze Gehäuse zu legen.
Als er alle Blüten eingesammelt hatte, richtete er sich auf und blickte suchend in die Runde.
Er entdeckte einen Dolm, der als Eule herumstolzierte. Nun, Dolme gelten seit jeher als etwas einfältig, kein Wunder, daß sich dieser mit der Maske der Weisheit geschmückt hatte.
Der Mensch lauschte den Sprüchen der Vogelmaske: Eulenweisheiten, die irgendwo geschrieben standen und derer sich die... nun ja, eben Dolme und Genossen gern annahmen und als ihre Weisheiten ausgaben. Diese Worte schrieb der Mensch auf, studierte sie und legte den Bogen voll Klugheit in seinen Koffer.
Viele Spinnenkostüme: Zwerge erkannte mann ihrer Größe wegen. Hexen konnten ihren Buckel nicht verbergen, und ein Rabe hatte vergessen, daß er als Spinne nicht fliegen konnte.
Der Mensch verfolgte gebannt die Bewegungen dieser Tiere.
Zuerst tanzten sie um ihre Opfer, umfingen sie mit langen Armen. Und einmal gefesselt, wurde die Beute zu Besitz. Als Eigentum mußten sie alles willenlos über sich ergehen lassen. Wurden ausgesaugt- leer hingeworfen. So taten es die großen, die kleinen, die satten und die hungrigen Spinnen.
Eine besonders winzige, weiß Gott wer da druntersteckte, begann eben, ihr Netz um eine Eintagsfliege zu legen. Das Insekt freute sich über die Aufmerksamkeit, die man ihm entgegenbrachte. Aber gerade als sich die Fesseln um seine Flügel legen wollten, packten zwei riesige Finger die Spinne, sie wurde vor ein großes Auge gehalten, betrachtet, und verschwand in einem schwarzen Loch- dem Koffer des Menschen.
Längst war das Hauptvergnügen des Maskenfestes nicht mehr Musik und Tanz, sondern das seltsame Verhalten der Menschenfigur.
Wie ein unverschämter Wiesenfleck auf makelloser Schneedecke.
So egoistisch wie Feuer.
So um sich greifend wie Wind.
Wonach suchte dieser Mensch?
"Liebes Märchen", fragte der Riese, "weißt du, wer hinter der Maske steckt?"
Das Märchen schwieg.
In einer Ecke des Salls wurde eine kleine Fee sichtbar. Ihre Art zu tanzen, ihre Bewegungen, ihr feines Gesicht waren so fremdartig schön, daß man annehmen mußte, hier wäre jemand unmaskiert erschienen.
Wie eine Marionette, geführt von der Sonne, dem Wind, dem Leben, schwebte sie auf den Menschen zu.
Wer soll beschreiben, wie es ist, wenn Sonne, Wind und das Leben ihre Arbeit vergessen.
Die Fee und der Mensch standen sich gegenüber. Sie begannen sich zu bewegen. Und die Sonne schmolz das undurchsichtige Glas vor seinen Augen, der Wind zauberte den Gleichklang in ihre Bewegungen, und das Leben atmete mit lautloser Sprache. Alles, was die zwei Gestalten umgab, schien in einen zeitlosen Raum zu versinken.
Blicke, die um das Überleben kämpfen.
Gedanken, die jedes Wort verweigerten, weil sie sich nackt so wohl fühlten.
Die Musik hatte zu spielen aufgehört, sie konnte die Lautlosigkeit nicht mehr übertönen.
Alle Masken standen still und verfolgten das Spiel zwischen Mensch und Fee.
Was für ein Spiel!
Gefühle und Gedanken verwandeln sich durch geheimnisvolle Kräfte zu Berührung und Blick. Die ziehen los, um zu Mündern, Nasen, Augen zu gelangen.
Tausen Szenen, aufgeführt in
einem Blick, in
einer fingerkuppigen Berührung.
Die Augen des Menschen waren jetzt geöffnet und erzählten, was sie gefunden hatten!
Als der Mond auf der Himmelsschaukel immer schwerer wurde, nach unten sank und die Sonne sich langsam hochdrückte, riefen die Märchenbücher nach ihren Figuren.
Und als der Mensch die kleine Fee zum Ausgang eilen sah, lief er ihr nach und hielt sie noch einmal fest.
Er öffnete seinen Koffer, nahm die verwelkten Blüten, die zerronnenen Weisheiten, die in sich selbst versponnene Spinne und warf alles in die letzte Dunkelheit der Nacht.
Dann füllte er den Koffer mit
ihren Blicken, mit
ihrem Kuß und mit einem Stückchen Erinnerung, daß sie ihm gab.
Mit dem ersten Sonnenstrahl, der über den Horizont balancierte, war der Pfau wieder Drache, der Schmetterling wieder Hexe und der Riese wieder auf Wanderschaft.
Der Mensch aber fuhr mit einem Taxi zum Flughafen, mietete sich eine Cessna, flog damit rund um die Welt und leerte den Inhalt seines Koffers auf die Menschen.
Das zeitalter der Liebe war angebrochen.
Aus: "Wie ein Geschenk auf flacher Hand" von Folke Tegetthoff