Rundumschlag
Mir ist gerade nach einem Rundumschlag zumute, in dessen Rahmen ich auch gern meine subjektive Antwort zur Frage des TE geben werde.
Um die Frage zu beantworten, müsste es ein klares Verständnis darüber geben, was Cuckolding ist. Man kann in den letzten Jahren beobachten, dass das Thema immer weitere Kreise zieht und dass der Begriff "Cuckold" durch fast schon inflationären Gebrauch - vor allem im Internet - zunehmend unscharf in seiner Bedeutung geworden ist und immer häufiger mit Wifesharing verwechselt wird.
Ein Cuckold findet es erregend, wenn seine Frau ihm Hörner aufsetzt. Der wesentliche Unterschied zwischen Cuckold und Wifesharer besteht in der Ohnmacht des Cuckolds in Bezug auf Sexualkontakte der Cuckoldress zu anderen Männern. Vereinfacht gesagt: Der Wifesharer teilt freiwillig, der Cuckold wird vor vollendete Tatsachen gestellt.
Ob ein Cuckold überhaupt einer ist, hängt damit sehr stark von seiner Partnerin ab. Wenn sie sich eine gewisse Autonomie erarbeitet, ist er Cuckold. Kann sie das nicht, muss ein Dritter - der Bull - für die notwendige Ohnmacht auf Seiten des Cuckolds sorgen. In jedem Fall gilt: Cuckold kann man nicht aus eigener Kraft werden, sondern man wird dazu gemacht.
Wenn das zentrale Abgrenzungskriterium Ohnmacht ist, bedeutet das bei strenger Auslegung, dass eigentlich jede Form der Mitbestimmung des Cuckolds schon dem Bereich des freiwilligen Wifesharings zuzuordnen wäre. Insofern reicht dann auch nur tatsächliche Ohnmacht aus, um wirklich Cuckold zu sein, nicht aber gefühlte oder inszenierte. Nicht umsonst sind viele Paare der Meinung, echtes Cuckolding sei im Rahmen von Rollenspielen gar nicht möglich. Sie sehen Cuckolding nicht als Spiel, sondern als Beziehungsmodell. Strenggenommen betreiben Rollenspieler eigentlich Fake Cuckolding.
In der Praxis dürfte "echtes" Cuckolding selten sein, während Cuckoldfantasien sehr weit verbreitet sind. Ich vermute trotz eigener praktischer Erfahrung, dass Cuckolding in erster Linie ein virtuelles Phänomen ist.
Neben der Frage, wie oft Cuckolding in der Praxis überhaupt vorkommt, ist natürlich die Frage interessant, warum der Cuckold (oder derjenige, der es zumindest in der Fantasie gern wäre) dieses Erleben von Ohnmacht sucht. Ein naheliegender Gedanke wäre natürlich, dass er devot ist. Es wird von Paaren häufig beschrieben, dass sie über BDSM in einer Female Led Relationship zum Cuckolding kommen sind (war mal Thema eines anderen Threads). Wenn man sich hier im Forum umsieht, gibt es aber auch sehr viele Cuckolds (oder solche, die es gern wären), die kein Interesse an herkömmlichen BDSM-Praktiken haben. Sind sie trotzdem devot?
Nach meinem Eindruck geht es Cuckolds eher um Heilung bzw. Erlösung als um Devotion, also das Bedürfnis zur Unterwerfung.
Gerade bei Männern, für die Cuckolding in der Fantasie eine starke Rolle spielt, scheint mir eher gefühlte sexuelle Minderwertigkeit das zentrale Motiv zu sein. Durch übermäßigen Pornokonsum entsteht häufig ein verzerrtes Bild von Sexualität und Männlichkeit. Ein anderer soll es der Frau so besorgen, wie Frauen es scheinbar wollen, aber man sich selbst nicht zutraut, weil man nicht so oft und lange kann und auch keinen so großen Schwanz hat wie Pornodarsteller, die nicht nur nach diesem speziellen Kriterium ausgewählt werden, sondern auch noch häufig zur Dauerpenetration "fitgespritzt" werden und die weiblichen Darstellerinnen scheinbar ins sexuelle Nirvana vögeln. Die Überwindung des eigenen Defizits erfolgt durch einen Stellvertreter. Sex ist ein mechanischer Akt, der auch von jedem anderen ausgeführt werden kann, die Frau ist zufrieden und der Cuckold braucht demnach keine Verlustängste zu haben. Es ist kein Wunder, dass die Partnerinnen dieser Männer (falls sie denn überhaupt eine haben) mit solchen Fantasien nur selten etwas anfangen können, weil sie diese defizitorientierte Sicht von Sexualität gar nicht teilen. Wenn es trotzdem zu der Suche nach einem anderen Mann kommt, geht es in der Regel um das Erfüllen sehr stark determinierter Rollenerwartungen und Vorgaben in Bezug auf die Abmessungen eines bestimmten Körperteils. Eigentlich wird kein Mann gesucht, sondern nur ein Schwanz. Ist das eigentlich Cuckolding oder eine Liveshow für den Mann mit seiner Frau und einem anderen Kerl als Darsteller? Das kann sich jeder selbst überlegen. Mit einer devoten Haltung hat es jedenfalls nichts zu tun.
Zurück zum Thema "dominant/devot": Seit einigen Jahren wird öfters postuliert, es gäbe auch dominante Cuckolds. Ich will darauf noch kurz eingehen, weil es auch schon weiter oben im Thread erwähnt wurde. Es gibt Paare, bei denen es der Mann als erregend empfindet, seine Frau immer wieder zurückerobern zu müssen, also sich immer wieder gegen Konkurrenten durchzusetzen. Das Fremdgehen der Frau ist hierbei sozusagen eine Art Vorspiel und soll Dominanzverhalten des Mannes auslösen. Die eigene Erfüllung für den Mann kommt erst im Moment des Zurückeroberns, im Sieg über die Konkurrenz. Das Dominanzverhalten bezieht sich also nicht auf die Frau, sondern auf Nebenbuhler.
Anhand dieses Phänomens komme ich auch zur endgültigen Beantwortung der Frage des TE: Der dominante Cuckold, der seine Frau auffordert, ihn durch Fremdgehen zu provozieren, ist ein Wifesharer. Nimmt sie sich dagegen von sich aus das Recht zum Fremdgehen heraus, kann man ihn durchaus als Cuckold bezeichnen.
Schlussfolgerung: Ein Cuckold muss nicht devot sein. Es gibt zahlreiche weitere mögliche Motive.